Aus dem Bundeskriminalamt Meckenheim wurde folgendes Schreiben bekannt.
BKA_2020-27-11_Entwicklung-Protestgeschehen_2.pdf
PMK/A – Aktuelle Entwicklungen im Protestgeschehen im Kontext der „Covid-19“-Pandemie
Bezug: EPOST des BKA vom 30.10.2020 (buhebk 114400:3010)
VS-NfD
Meckenheim, 27.11.2020Grundsätzlich behalten die Ausführungen in der Gefährdungsbewertung des BKA vom 30.10.2020 (buhebk 114400:3010) zu den aktuellen Entwicklungen in den Phänomenbereichen der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) im Kontext der „Covid-19“- Pandemie sowie in der EPOST des BKA vom 12.11.2020 (buhebk 155101:2011) weiterhin ihre Gültigkeit. In Ergänzung zu den dortigen Aussagen ist unter Gefährdungsgesichtspunkten folgendes festzuhalten:
1. Aktuelle Lage
Aufgrund der themenimmanenten Dynamik ist die aktuelle Lage ständigen Veränderungen unterworfen, die eine hinreichend belastbare Gefährdungsbewertung nicht in Gänze zulassen. Unabhängig davon ist anzumerken, dass das aktuelle Protestgeschehen rund um die staatlichen „Corona-Schutzmaßnahmen“ nach wie vor ein beherrschendes Thema in der öffentlichen Wahrnehmung ist. Bundesweit finden in unterschiedlicher Ausdehnung verschiedenartige Proteste statt, die von einer heterogenen „Mischszene“ frequentiert werden. Diese Szene dürfte neben einer generellen Kritik an den „Corona-Schutzmaßnahmen“ zumindest partiell auch eine staatskritische bis staatsfeindliche Haltung einen. Eine tragende Rolle übernimmt dabei anhaltend die aus dem zivil-demokratischen Spektrum initiierte „Querdenken-Bewegung“, die mit ihrer Fülle regionaler Ableger durch zahlreiche Versammlungsanmeldungen in Erscheinung tritt.
2. Versammlungen
Insgesamt betrachtet ist jüngst eine Intensivierung des Versammlungsgeschehens rundum die „Covid-19″-Pandemie zu verzeichnen. Die Initiatoren versuchen, durch gezieltes Bewerben ein möglichst breit gefächertes Personenspektrum auszuschöpfen, um hohe Teilnehmerzahlen zu generieren. Dabei werden beispielsweise auch Versammlungsanmeldungen wie aktuell im deutsch-polnischen Grenzgebiet vorgenommen.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Versammlungen mit geringerer Teilnehmerzahl überwiegend friedlich verlaufen. Es können meist nur vereinzelt Verstöße gegen die geltenden Hygiene- und Abstandsregeln sowie Straftaten festgestellt werden.
Dagegen wohnt insbesondere den teilnehmerstarken Versammlungen ein deutlich erhöhtes Eskalationspotenzial inne. Diese sind häufig geprägt von einer geringen Akzeptanz polizeilicher Maßnahmen und erheblichen Verstößen gegen geltende Hygiene- und Abstandsregeln. Zum Teil werden gefälschte ärztliche Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht vorgelegt. Andere Teilnehmer wiederrum treten durch anderweitig prätentiöses Verhalten (z. B. das Tragen von nicht wirksamen Masken) in Erscheinung. Zuletzt kam es bundesweit mehrfach zu erheblichen Ausschreitungen, die sich vor allem nach der Auflösung von Großveranstaltungen (bedingt durch Auflagenverstöße) entfalteten. Eingesetzte Polizeikräfte wurden dabei teils massiv attackiert und auch verletzt. Auch verbale Anfeindungen oder physische Angriffe auf Medienvertreter/-vertreterinnen wurden registriert. Diese Vorfälle lassen auf eine signifikante Progression in der Bereitschaft zur Gewaltanwendung schließen. Es ist davon auszugehen, dass die in der EPOST vom 30.10.2020 skizzierte Radikalisierungstendenz der Proteste zumindest bei Einzelpersonen bzw. Kleinstgruppen voranschreitet. In Anbetracht der Verschärfung der „Corona-Schutzmaßnahmen“ bzw. der Verlängerung des „Lockdowns“ steht zu befürchten, dass sich diese Entwicklung zumindest bei Einzelnen weiter fortsetzt. Insofern ist die Möglichkeit weiterer Ausschreitungen – vor allem bei größeren oder spontan formierten Versammlungen -, bei denen eingesetzte Polizeikräfte oder auch Medienvertreter/-Vertreterinnen ins Visier gewaltgeneigter Versammlungsteilnehmer geraten, einzukalkulieren.3. Personenpotenzial
Zum Personengefüge und politischer Ausrichtung derer, die auf vorgenannten Veranstaltungen Gewalt ausgeübt haben, kann derzeit keine verlässliche Aussage getroffen werden. Auch inwiefern Personen aus der rechten Szene an gewaltsamen Ausschreitungen beteiligt waren, kann aktuell nicht valide beurteilt werden.
Die Gewaltausübung scheint jedoch insgesamt von einer „radikalen“ Minderheit auszugehen, die in ihrer Konstitution analog zum Gesamtgefüge nur schwer definierbar ist. Diese Gewalt kann einerseits mitunter dazu führen, dass gemäßigte Personen und Organisationen von einer Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen absehen. Andererseits können Solidarisierungseffekte eintreten, bei denen nicht gewaltgeneigte Teilnehmer im Rahmen eskalativer Ereignisse zu Tätern werden. Generell scheinen teilnehmerstarke Proteste, denen umfassende Mobilisierungen vorausgingen, eine Art „Sogwirkung“ auch auf gewaltbereite Personen zu entfalten, die dem Staat – unabhängig von einer möglichen politischen Orientierung – ohnehin feindselig gegenüberstehen. Ein Überschwappen etwaiger Radikalisierungsprozesse auf breitere zivil-demokratische Bevölkerungsschichten steht derzeit weiterhin nicht zu erwarten. Ein katalysierender Faktor könnte gleichwohl die weitere Fortdauer der Pandemie und dadurch möglicherweise induzierte wirtschaftliche Nöte und Existenzängste darstellen.4. Agitation
Eine nährende Wirkung für potenzielle Radikalisierungen bieten auch die insbesondere im Internet prosperierenden Verschwörungsmythen, die dort in vielfältigster Art und Weise kundgetan werden. Besonders populäre „Galionsfiguren“ der Verschwörungsszene sind bestrebt, ihre Anhänger zu mobilisieren und die Stimmungslage entsprechend aufzuheizen. Generell werden krude Hypothesen aufgestellt, etwa wenn der Staat aufgrund der aktuellen Situation als diktatorisch gebrandmarkt und eine „Corona- Diktatur“ postuliert wird. Besonders antisemitisch konnotierte Narrative und Ressentiments werden fortlaufend geschürt und verbreitet. Teilweise werden die jüngsten Änderungen im Infektionsschutzgesetz mit dem „Ermächtigungsgesetz von 1933“ gleichgesetzt oder es wird von einem „Impf-Holocaust“ fabuliert.
Auch konnten (wissentlich oder unwissentlich) geschichtsrevisionistische bzw. den Holocaust verharmlosende Äußerungen und Handlungen festgestellt werden. So verglichen sich auf einer auf einer „Querdenken“- Versammlung in Hannover/NI am 21.11.2020 eine Rednerin mit der deutschen Widerstandkämpferin gegen den Nationalsozialismus Sophie Scholl und eine Woche zuvor setzte eine junge Rednerin in Karlsruhe/BW ihre Situation während der „Covid-19“-Pandemie mit der des jüdischen Mädchens Anne Franks bei der Verfolgung der Juden im Dritten Reich gleich. Gleichermaßen spitzen sich auch Aufrufe zu (physischer) Gewalt oder verbale Drohgebärden gegen als „verantwortlich“ ausgemachte Personen weiter zu. Vereinzelt sind dabei auch „Aktionen“ oder Straftaten im privaten Nahbereich dieser Personen denkbar.
In diesem Kontext stellt insbesondere „Telegram“ ein multipel genutztes Medium dar, auf dem in diversen internen Chatgruppen und Kanälen u. a. sog Listen, Aufrufe zu Straftaten (u. a. Mordaufrufe, Aufrufe zur Besetzung symbolischer Orte) oder auch beleidigende, diffamierende oder in sonstiger Weise strafrechtlich relevante Inhalte geteilt werden. Auch in Bezug auf (Veranstaltungs-)Mobilisierungen ist „Telegram“ derzeit eine herausgehobene Bedeutung beizumessen.5. Phänomenbezogene Aspekte
Darüber hinaus ist konkret in Bezug auf die Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) -rechts- und links- folgendes testzuhalten: Insbesondere die rechte Szene scheint die Thematik wieder verstärkt in ihre Agenda aufgenommen zu haben. Besonders für teilnehmerstarke Versammlungen konnten teils deutliche Mobilisierungsbestrebungen auf einschlägigen Szeneplattformen festgestellt werden. Auch wurden Teilnehmer aus dem rechtsextremistischen, zum Teil gewaltorientierten Spektrum bzw. (rechtsorientierte) Hooligan-Gruppen bei Veranstaltungen registriert. Zudem ist auch eine Teilnahme von Personen aus dem Reichsbürger-/Selbstverwalterspektrum, vor allem aufgrund verschiedener optisch wahrnehmbarer Symboliken, anzunehmen. Die Angabe einer exakten Größenordnung ist hierbei derzeit jedoch nicht möglich, gleichwohl ist die Beteiligung nach jetzigem Erkenntnisstand weiterhin nicht prägender Natur. Demzufolge können eine umfassende Beeinflussung bzw. Unterwanderung des Protestgeschehens durch die rechte Szene aktuell nicht konstatiert werden.
Gleichwohl sind Akteure der rechten Szene jedoch nach wie vor bemüht, die aktuelle Lage für ihre eigenen Agitationszwecke zu instrumentalisieren. Dabei wird der Versuch unternommen, Anschluss an zivil-demokratische Bevölkerungsschichten herzustellen und sich im Sinne ihrer politischen Ziele einen öffentlichen Resonanzraum zu erschließen. Diese Bestrebungen dürften zunächst nicht abflachen.
Innerhalb der linken Szene ist eine wachsende Partizipation insbesondere an entsprechenden Gegenprotesten zu verzeichnen. Diese werden im Regelfall von Initiativen aus dem zivil-demokratischen Spektrum arrangiert, regelmäßig aber von (auch gewaltorientierten) Personen der linken Szene begleitet. Allgemein scheint die Szene die sog. Querdenker-Proteste zunehmend als von „Rechten“ dominiert bzw. faschistisch geprägt einzuordnen. Wiederholt kam es – insbesondere in Leipzig/SN – zu teils erheblichen gewalttätigen Wechselwirkungen zwischen mutmaßlichen Linksextremisten und Teilnehmern der Veranstaltungen bzw. auch zu Blockaden von Aufzugsstrecken. Insofern suchen autark agierende Kleingruppen (vermutlich aus dem linken Spektrum) gezielt die Konfrontation mit Teilnehmern der Corona-Proteste. So wurde u. a. am 21.11.2020 in Leipzig/SN eine Personengruppe durch eine schwarz gekleidete und überwiegend vermummte Kleingruppe (mutmaßlich Linksextremisten) tätlich angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Das Tatgeschehen wird derzeit von der zuständigen Staatsanwaltschaft als versuchtes Tötungsdelikt gewertet.
Folglich muss auch künftig im Rahmen des Corona bezogenen Versammlungsgeschehens mit antifaschistischen Interventionen in Form von (schweren) Gewalttaten oder auch Blockadeaktionen gerechnet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass neben tatsächlichen „Rechten“ auch Personen ins Zielspektrum der linken Szene geraten können, die der Versammlung zwar physisch beiwohnen, die jedoch irrtümlicherweise für Anhänger der rechten Szene gehalten bzw. als solche eingeordnet werden. Auch Polizeikräfte oder Mitarbeiter kommunaler Ordnungsbehörden könnten bei entsprechenden Auseinandersetzungen zwischen die Konfrontationslinien oder auch in den Fokus geraten. Insgesamt konnte im Rahmen vergangener Veranstaltungen rund um die „Covid-19“-Pandemie eine Verschärfung im ohnehin eskalationsträchtigen Konfrontationsverhältnis Rechts/Links festgestellt werden. Dies könnte sich bei einer weiteren Zunahme bzw. auch Radikalisierung der Proteste und insbesondere bei einer ggf. ansteigenden Beteiligung von rechtsorientierter Klientel weiter fortsetzen.Fazit
In der Gesamtschau betrachtet gestalten sich die „Aktionsvarianten“ bzw. Straftaten unter dem Rubrum der „Corona-Proteste“ bzw. im Zusammenhang mit der „Querdenken-Bewegung“ – auch abseits des Versammlungsgeschehens- vielschichtig. Es ist weiterhin damit zu rechnen, dass Agitationsmuster fortlaufend um weitere Komponenten ergänzt werden.
Eine Zunahme der Proteste bzw. der auch strafrechtlich relevanten „Aktionsformen“ erscheint in der jetzigen Situation realistisch. Es ist zu berücksichtigen, dass Versammlungsverbote nicht eingehalten werden und sich spontane Aufzüge mit dem Ziel formieren, symbolisch wirkmächtige Orte zu besetzen.
Auch objektbezogene Straftaten (z. N. von Behörden, Institutionen – auch aus dem Gesundheitssektor privatwirtschaftliche Einrichtungen) sind ebenso wie personenbezogene Straftaten gegen u. a. von potentiellen Tätern als politisch oder als für die „Corona-Schutzmaßnahmen“ mitverantwortlich ausgemachten Personen in Betracht zu ziehen.
Die zumindest in Teilen festgestellte Radikalisierungstendenz bei Einzelpersonen oder Kleinstgruppen hat sich vor dem Hintergrund diverser Ausschreitungen weiter fortgesetzt. Dieser Umstand dürfte weiter anhalten. Auch eine weitere Verschärfung im Konfrontationsverhältnis Rechts/Links ist bei einem anhaltend hohen bzw. intensivierten Versammlungsniveau in Erwägung zu ziehen.
Abschließend wird auf die Möglichkeit von strafrechtlich relevanten Handlungen vor dem Hintergrund einer irrationalen und/oder verschwörungstheoretischen Tatmotivation, die polizeilich nur schwerlich bis gar nicht prognostizierbar sind, hingewiesen.im Auftrag Krambrich, LKD
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