Die wundersame Vermehrung der Bestnoten und -Abiture

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Alle Jahre wieder tauchen spätestens im Sommer in nahezu allen Presseorganen in Deutschland Berichte von der wundersamen Vermehrung der Einserabiture und auch der Durchschnittsnoten im Abitur auf.

Dazu ein Text von Professor Dr. Hans Peter Klein mit dem „Titel Die wundersame Vermehrung der Bestnoten und Abiture“ vom 14. August 2025. Viel Spaß.

In der Presse werden Beispiele von Schulen mit 10,4% 1,0 Abituren und 52,1% Einserabituren bei allgemeinen Durchschnittsnoten von 1,95 aufgeführt. So die Gellenhausen neue Zeitung. Konnte man dies noch als Einzelfall abtun, wird man beim Blick in die statistischen Ergebnisse einiger Bundesländer eines besseren belehrt. Thüringen hat 2024 einen Anteil der Abiture mit einer Eins vor dem Komma von 40,7%. Sachsen mit 34,7% und Brandenburg mit 34,6% stehen dem kaum nach. Da fallen die entsprechenden Ergebnisse in einigen westlichen Bundesländern für Nordrheinwestfalen mit 27,7%, Rheinlandfalz mit 25,3 % oder Schleswig- Holstein mit 23,5% eher bescheiden aus.

Vergleicht man die Ergebnisse mit denen von vor 5 Jahren, stellt man eine kontinuierliche Steigerung fest. Anscheinend werden die Abiturienten immer schlauer und dies trotz Corona, trotz erheblich zunehmender Heterogenität in den Lerngruppen der Schulen, die seit 2015 in Brennpunktgegenden, vor allem deutscher Großstädte pädagogisch kaum noch zu bewältigende Ausmaße erreicht hat.

Dass mit dieser Entwicklung etwas nicht stimmt, kann man der Presse entnehmen. Von Abiinflation, von Discountabitur oder Abiturligth, von Studienberechtigung bei immer weniger Studierbefähigung, von Zeugnissen als ungedeckten Checks, von Quote statt Qualität, von pädagogischer Gefälligkeit, von Vorgaukeln der Studierfähigkeit und anderem ist die Rede. Man verweist auf die kontinuierliche Abwärtsspirale bei den Pisa-Ergebnissen seit 2015, die den erzielten Ergebnissen auf den Abiturzeugnissen diametral widersprechen.

Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen? Schon vor Pisa gab es noch bis in die frühen 70bziger Jahre des letzten Jahrhunderts die für alle verpflichtenden Fächer Deutsch, Englisch, Latein und Mathematik, die von jedem Schüler bis ins Abitur zu absolvieren waren und dort grundlegender Bestandteil der Abiturprüfung waren. Mit der reformierten Oberstufe wurde damals schon ein erster Schritt zur Erleichterung des Abiturs im Hinblick auf die anzustrebende Bildungsexpansion vollzogen.

Je nach Bundesland wurden die Wahlmöglichkeiten so erweitert, dass die ehemaligen Hauptfächer nur noch peripher erhalten blieben. Latein, früher sogar griechisch oder altgriechisch, wurden seiner Zeit als grundlegende Bildungsinhalte ausgewiesen. Sie sind aus den heutigen Abiturprüfungen weitgehend verschwunden. Nicht einmal Studierende der Medizin müssen noch ein großes oder kleines Latinum auf dem damaligen Niveau nachweisen.

Fest steht, dass diese mehr als fragwürdige Entwicklung nur dadurch zustande kommt, dass die Ansprüche in den vergangenen 20 Jahren immer stärker abgesenkt wurden. Das bestreitet heute eigentlich niemand mehr. Spätestens seit der Einführung kompetenzorientierter Abituraufgaben hat man das Fachwissen zugunsten von Lesekompetenz aus den Abiturprüfungen weitgehend verband.

Klassisches Beispiel war die Berichterstattung in der FAZ von 2010, in der von dem Experiment die Rede war, indem Neuntklässler eine Leistungskursarbeit von 2009 im Fach Biologie ohne jedes Vorwissen lösen konnten, mit dem einzigen Hinweis: „Die verlangten Lösungen seien beim aufmerksamen Lesen aus den ausführlichen Begleittexten direkt zu entnehmen.

Wie weitere Untersuchungen zeigen konnten, trifft bis heute diese Entwicklung auf nahezu aller Abiturfächer zu, auch auf das Fach Mathematik.

Auch dort enthalten die Abituraufgaben zumindest Aufgabenteile ohne jede fachwissenschaftliche Komponente, während die eigentlichen Rechenaufgaben ein meist eingesetzter grafikfähiger Taschenrechner erledigt. Allein Lesekompetenz reicht aus, an solchen Aufgaben zumindest nicht zu scheitern.

Gute Lehrerinnen und Lehrer geben nur gute Noten, ist das Credo aus dem linksliberalen Spektrum. Und die Befürworter dieses Ansinnens haben es längst durch entsprechende Verordnungen für alle Schulen verpflichtend gemacht.

Bis zum heutigen Tage gilt für diejenigen Lehrer, die sich dieser bildungspolitischen Vorgabe widersetzen, die schriftliche Erstellung ausführlicher Begründungen der erteilten nicht ausreichende Note bis ins Detail.

Die Auflistung umfassender Empfehlungen zur Verbesserung der Defizite und die Weitergabe angemessener und ausführlicher Informationen an die Eltern. Um diesen Wochenend ausfüllenden zusätzlichen Tätigkeiten aus dem Weg zu gehen, überlegen sich die Lehrkräfte genau, wann sie tatsächlich diesen Weg beschreiten wollen. Die meisten von uns befragten Lehrkräfte gehen dieser Verordnung erwartungsgemäß aus dem Weg, indem sie viel weniger unzureichende Leistungen als solche ausweisen, als das nötig wäre. Das erspart ihnen eine Menge unnötiger Arbeit. Da die meisten Lehrer sehr Gerechtigkeitsbewusst sind, werden halt unzulängliche Leistungen oftmals als ausreichend. ausreichende Leistungen als befriedigende und befriedigende Leistungen als gute gekennzeichnet, bis hin zur Ausweisung sehr guter Leistungen, die früher einmal gute Leistungen waren. Entsprechend ist die logische Folge dieser politisch gewollten Entwicklung die Zunahme sowohl der Bestnoten als auch der Durchschnittsnoten auch im Abitur.

Durch die von PISA ausgelöste Debatte, eine im Vergleich zu anderen OECD-Staaten zu geringe Abiturientenquote zu haben, wurde politisch mit einer kontinuierlichen Erhöhung der Abiturientenquote reagiert, die in einigen Bundesländern aktuell bei über 50% liegt. In den 90er Jahren war dies durchschnittlich noch ca. 25%.

Da kamen die kompetenzorientierten Aufgabenstellungen gerade zur rechten Zeit. Damals warnten Kritiker dieser Entwicklung vor einem erheblichen Fachkräftemangel, der Deutschland spätestens seit den 2020er Jahren mit voller Wucht erreicht hat. Bildungsergebnisse basierend auf strukturellen oder bildungsinhaltlichen Veränderungen zeigen sich logischerweise immer erst 10 bis 15 Jahre später.

Das bereits oben benannte Klientel selbsternannte Reformpädagogen wir vor allem das vergleichende Leistungsprinzip aushebeln, da es dies bezogen auf die leistungsschwächeren Schüler als diskriminierend erachtet. Entsprechend lauten die Forderungen auf die Abschaffung jeglicher vergleichenden Notengebung, auf die erreichten Fortschritte, begrenzte Leistungsberichte, auf die Abschaffung der Fächer nach dem Motto, wir unterrichten Menschen und keine Fächer und auf die Selbstbestimmung der Schüler im Unterricht nach dem Motto: „Wir bestimmen selbst, was wir lernen wollen, auch wenn das nichts ist, verbunden mit ausschließlicher Projekt und Teamarbeit.

Leicht nachzuvollziehen ist diese Tendenz an der beschlossenen Abschaffung der Bundesjugendspiele, in denen halt die sportliche Leistung, unabhängig von der Person und nur mit Maßband und Stoppuhr, valide und verlässlich beurteilt wurde. So manch lernschwacher Schüler könnte ja auftrumpfen, indem er endlich einmal zeigen konnte, was in ihm steckt. Da dies aber leistungsschwächeren Schülern gegenüber als diskriminierend gewertet wird, wurden sie halt abgeschafft.

Dass diese Entwicklung mittlerweile in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen ist, zeigt der deutsche Fußballbund. In der G und F-Jugend, also bis U11, dürfen keine Ergebnisse, Tore und Tabellen mehr gezeigt werden, was bei der Veröffentlichung dieses Reglements international teils sarkastische Kommentare zufolge hatte.

Eine unmittelbare Folge der Abschaffung des Leistungsprinzips ist die Gleichmacherei auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Besser ist, alle sind gleich schlecht, als das einer besser ist als der andere.

Wer das Wort Elite in Deutschland nicht nur im Bildungswesen in den Mund nimmt, gilt als elitär, diskriminierend, gar rechtsradikal. Jeder Politiker weiß, Eltern sind Wähler und nur durch Wunscherfüllung kann man sich deren Gunst für die nächste Wahl sichern und von den bildungspolitischen Problemen ablenken. Folgerichtig vergibt man das Abitur zu Dumpingpreisen. „Panem et circenses“ gab es auch schon im alten Rom.

Immer mehr Studienberechtigte ohne Studierfähigkeit fluten die deutschen Hochschulen. Seit rund 15 Jahren sehen sich diese gezwungen, Vorbereitungskurse für nicht studierfähige Abiturienten in fast allen Studiengängen anzubieten. Eine mehr als fragwürdige Entwicklung, Denn diese Nachhilfeveranstaltungen sind um ein Vielfaches teurer, als wenn man dieses Wissen in der Schule vermittelt hätte.

Trotzdem sind die nach wie vor hohen Abbrecherzahlen der Politik ein Dorn im Auge und die Hochschulen erhalten je nach Bundesland Kopfgeldprämien in Höhe von mehreren tausend € pro Bachelorabsolvent in der Regelstudienzeit.

Elitebildung vor und vor allem nach dem Abitur gibt es in allen angloamerikanischen, französischen und asiatischen Ländern, mit denen wir im harten Wettkampf um die besten Köpfe im Rahmen der Globalisierung stehen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Absolventen dann eine Gewähr dafür bieten, innovative Entwicklungen, vor allem in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts zu entwickeln oder voranzubringen.

Um die fortschreitende Entwertung des Abiturs zu verhindern, müsste man sich aber entweder dafür entscheiden, dass die Hochschulen sich ihre Studierenden selbst aussuchen, oder man müsste nach französischem Vorbild ein bundesweiltes Zentralabitur mit externer Bewertung etablieren, indem nur die dort erreichten Noten zählen. Allein dazu fehlt der politische Wille. Unbestritten ist, dass die Abwärtsspirale im deutschen Schulwesen fatale wissenschaftliche, wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich zieht. Keine einzige deutsche Hochschule ist im aktuellen Shanghai Ranking unter den ersten 40 zu finden, nur vier unter den ersten 100.

Um die Bedeutung dieser in Deutschland oft belächelten Tabelle zu veranschaulichen, schau man sich nur einmal die Marktkapitalisierung der wichtigsten innovativen und digitalen Großkonzerne aus dem Silicon Valley an. Die Firmen Apple, Microsoft, Meta, Nvidia, Tesla oder Amazon, gegründet meist von Absolventen der bekannten US-amerikanischen Eliteuniversitäten, haben jede einzelnen für sich genommen eine größere Marktkapitalisierung als alle 40 DAX Konzerne zusammen.

Elitebildung hat nichts mit Elitär zu tun. Besser zu sein als andere ist einer der wesentlichen Grundlagen unseres Wohlstandes, von dem wir uns in Deutschland durch den eingeschlagenen Weg der Abschaffung des Leistungsprinzips und der Nivellierung der Ansprüche nicht nur im Abitur gerade flächendeckend verabschieden.

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