Wie sind sie denn – die Deutschen

Ein jedes Volk auf dieser Welt hat seine Zeit….. seine Zeit der Blüte, des Wachstums zu höherem…. Wie auch seine Zeit des Niedergangs, des Abstiegs…… bis es verschwindet, sich mit anderem Volke vermischt. Wir (d.h. wir hier in Deutschland) reden heute nicht mehr vom Volk – es ist ein altertümlicher, kaum benutzter Begriff. Es klingt komisch, wenn jemand sagt: Deutsches Volk.

Ja, es geht so weit, dass wir uns auch kaum noch als Volk empfinden. Man nennt uns Gesellschaft – Bevölkerung – die lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger – aber das jemand sagt: Deutsches Volk! Das ist nicht mehr zu vernehmen und wenn, dann aus Mündern, denen man zu Recht nicht zuhören mag.
 Aber ein deutsches Volk gibt es denn doch (noch). Wobei die Frage ist, wie lange es noch existieren wird. Die heute Geborenen wissen kaum noch etwas von dem, was mal die Deutschen als Volk ausmachte, wie sie von anderen beschrieben wurden. Entsprechende Quellen gibt es zwar, aber im öffentlichen Bewusstsein werden sie (vielleicht bewusst) nicht gepflegt.

 Und dabei war es mal anders- im Mittelalter wurden die Deutschen als sinnenfroh, als leidenschaftlich, rauflustig, kindlich in ihrer Art, ehrlich, bedacht auf Freiheit und Unabhängigkeit, geschildert – wie auch als tölpelhaft, zügellos, faul – und musikalisch. Bernhard von Clairvaux,ein französischer Mönch, vermisste nach Rückkehr von einer Reise durch die deutschen Lande den Gesang seiner deutschen Begleiter.

Es sind die Charakterzüge, wie sie vielleicht einem jungen Volk zu Eigen sind – liest man die altgermanischen Sagen, die Edda oder dann das deutsche Nibelungen- oder Hildebrandslied, so finden sich auch dort diese Charaktereigenschaften. Höchste Tapferkeit und niederträchtigster Verrat gehen Hand in Hand.

Das Bild ändert sich mit dem Ausgang des Mittelalters und dem Beginn der Renaissance. Das Reich ist bereits in seiner Struktur am Zerfallen und nicht mehr die größte Macht in Europa – und auch die Beschreibungen der Deutschen ändern sich. Immer noch gibt es ein Streben nach Unabhängigkeit, doch wird auch immer mehr ein Bedürfnis nach Bequemlichkeit thematisiert und lieber von Lasten zu schultern, als sich darüber zu beschweren.

Der Humanist Poggio Bracciolini, der Deutschland im 15. Jhdt. bereiste, fand ein „verfressenes Volk“ vor, wie er in einem Brief schrieb (Zitat): „Sind das Menschen? Schlaftrunkene, blöde, schnarchende Geschöpfe sind es, niemals nüchtern, den Menschen und Gott verhasst! Ob sie leben oder tot sind kann man nicht unterscheiden, wenn sie von Wein und Speise überwältigt daliegen!“

Die Deutschen wurden allgemein als Barbaren angesehen, ungehobelt, unwissend, früher tapfer, doch heute nicht mehr. Luther liebte und hasste die Deutschen zugleich aufgrund ihrer Ehrlichkeit und ihrer Verfressenheit und nannte sie wahre Bestien.

Der Historiker Jakob Wimpfeling, der Begründer der deutschen Geschichtsschreibung lobte die Deutschen als tapfer, treu, wahrheitsliebend, aber er tadelte ihre Trunksucht und dass der Adel, der, nur im Krieg und in der Jagd seine Lust findend, sich zu gut hielt, um Bildung des Geistes zu erwerben.

Es ist sehr interessant, dass mit dem Erstarken von Staatsgewalt (der Fürsten) und dem Fester werden von Strukturen (und Sicherheit) sich auch die Charaktereigenschaften eines Volkes zu ändern scheinen. Noch härter fällt das Urteil dann gegen Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, also im ausgehenden 18. Jh. aus.

Friedrich Karl Moser, ein deutscher Staatswissenschaftler, beschrieb seine Landsleute so: „Wie soll ich nun aber die Leute benennen, welche in ihren vier Wänden ein Löwenherz haben und in freier Luft mit hasengleichem Mut entfliehen? Sind das edle Seelen, die sich heimlich das Herz über der Not ihrer Mitbrüder abgrämen, aber in dem Augenblick, wo es auf freimütiges Bekenntnis des Rechts und der Wahrheit ankommt, zaghaft verstummen?….. Man erkennt diese patriotischen Menschen an zwei Redensarten: Was soll ich mir ohne Not Feinde machen? Was wird’s am Ende auch helfen, wenn ich alles geredet und gesagt habe?“

Ein anderes Zitat: „Der Bürger“, sagte der Dichter Ludwig Schubart „ist dumm, hochmütig, arm, ein Sklav, trägt silberne Schnallen und frisst Haferschleim“. …….

 In dem Maße, wie das Leben sich verfeinerte, schien auch das Bedürfnis nach Sicherheit größer zu werden – oder auch der Druck des Anpassens. Doch gab es auf der anderen Seite immer Deutsche, welche ihrer Sehnsucht Ausdruck verliehen, dass es auch anders sein könnte und die an das gute Wesen ihrer Landsleute appellierten – an ihr Freiheitsbedürfnis, an ihren Zusammenhalt und ihre Wahrheitsliebe.
Es ist sehr interessant, dass sich zwischen dem herrschsüchtigen und die Menschen unterdrückenden Adel und der Masse des Volkes, die das weitgehend duldsam hinnahm, immer wieder Menschen oder besser Genies, herausbildeten, die dagegen an-schrieben, ankämpften, ja, anschrien.

Ein Schiller, ein Freiherr von Stein, ein Ernst Moritz Arndt und viele andere erhoben ihre Stimme, um ihre Landsleute daran zu erinnern, dass das Leben mehr ist als Katzbuckelei und Duckmäuserei. Und es ist vielleicht auch kein Zufall, dass ein Martin Luther und ein Karl Marx in Deutschland geboren und geprägt wurden.

Gleichzeitig wurde wie erwähnt von höherer Warte auf das Herausbilden von Werten geachtet, die den Herrschenden nutzten. Der Pädagoge Friedrich Bresewitz schrieb: „Wir Deutschen sind im Ganzen genommen durch unseren Charakter, soweit wir noch einen haben, durch Regierungsform und politische Verfassung größtenteils in allen Ständen zur Treue, zu fleißiger und überlegter Ausrichtung der uns angewiesenen Geschäfte, zu Ordnung und Betriebsamkeit und zum anhaltenden Ausdauern bestimmt.“
Diese Züge verstärkten sich noch in dem Maße, wie der Zentralstaat stärker wurde. Die Revolutionäre von 1848 verzweifelten an der Trägheit und Faulheit ihrer Landsleute. So schrieb Robert Prutz vom „Land der Kuchenfresser, die verwaschenste, farb-loseste, butterweichste Generation, die es in Deutschland gibt; Volk wie nasser Schwamm….. bloße träge Maulaufsperrer, die immer noch glauben, das alles geschehe bloß ‚draussen‘, und bloß, damit sie zu ihrem schlechten dünnen Kaffee alle Morgen eine interessante Zeitung zu lesen haben“.

Von damals und auch davor gibt es übrigens genügend Zeugnisse, dass die Deutschen eben wegen dieser Eigenschaften und weil sie als „charakterlos“ galten, d.h. den eigenen Charakter eingebüßt hatten, von anderen Völkern verachtet wurden. Verachtet – nicht gehasst! Der Hass kam erst später, als die Deutschen wieder politisch mächtig wurden.

Nach der Schaffung der Deutschen Einheit im Jahre 1871 durften denn deutsche Werte wie Wahrheitsliebe allenthalben im Munde geführt werden, doch erschöpfte sich der Patriotismus in Selbstbeweihräucherung und schrillen Tönen und nicht in Freiheitsliebe und dem Drang nach Selbstständigkeit (ausser bei einzelnen). Engstirnigkeit statt Weite waren denn auch die Folge. (Eine sehr treffende Parodie zu diesen Zuständen lieferte Heinrich Mann: http://www.youtube.com/watch?v=cA0bFBa_7h8 )

Aber auch dies gilt, dass es eine Zeit großer Gedanken und bahnbrechender Erfindungen war und dass die deutsche Liebe zum Detail, die Gründlichkeit und der Forschungsdrang zusammen mit dem Streben nach Erkenntnis deutscher Wissenschaft zur Weltgeltung verhalfen. Deutsch war denn auch bis zum Ende des 1. Weltkrieges die Sprache der Wissenschaft und Deutsch-land das Land der Kultur.

Doch blieben auch immer Duckmäusertum und Engstirnigkeit und Hochnäsigkeit. Noch mehr verstärkte sich diese Tendenz zum unkritischen Anpassen und Wegducken in den unseligen 12 Jahren, die heute traurigerweise als die wichtigsten Jahre der deutschen Geschichte angesehen werden. Immer hat allerdings alles zwei Seiten – ein hysterischer Nationalismus und Verachtung des Fremden verbanden sich mit höchster Opferbereitschaft und Zusammenhalt.

Doch waren es am Ende auch wieder Zerrbilder von an sich guten Eigenschaften. Und heute? Heute sind wir scheinbar weit entfernt von allem, was ursprünglich mal als deutsch gelten konnte. Die Sekundärtugenden wie Pflichtbewusstsein und Ordnungsliebe und die Autorität anerkennen sind alle noch da (wenngleich sie zu Auschwitz führten, wie uns ein ehemaliger deutscher Aussenminister mal versicherte).

Doch Wahrheitsliebe oder den Drang nach Selbstständigkeit findet man nur selten. Und ganz weit weg ist für uns die Vorstellung, dass wir unter Zwang leben und somit in Wahrheit unfrei sind (auch und gerade als Volk). Aus dem Buch „Zeitalter der Glaubensspaltung“ von Ricarda Huch (die keine Debitistin war, aber eine wahrheitsliebende Person): “Nach germanischer Anschauung beruhte die Ehre hauptsächlich auf der Freiheit. Der Hörige, der dem Zwang unterworfen war, wurde verachtet. „Ehr is dwang nog“, Ehre ist Zwang genug, stand als Inschrift auf dem Kamin eines Zunfthauses in Münster”.

Der Hörige war derjenige, der verpflichtet war, Abgaben zu zahlen. Abgaben in Höhe von 70% des Einkommens, wie wir sie heute haben, hätten unsere Vorfahren als unvorstellbar abgetan. Sie sind aber heute Realität. Und auch, dass uns keine Gelegenheit mehr gegeben wird, zu definieren und zu pflegen, was uns als Deutsche, als deutsche Gemeinschaft ausmachen (könnte).

Stattdessen sind wir eine Gesellschaft geworden, ein graues Nebeneinander statt Miteinander, von dem sich erst in einer Krise zeigen wird, wie tragfähig es ist. Ob wir nochmal eine Gemeinschaft, eine echte Gemeinschaft bilden können, wird sich dann zeigen.

Dies vielleicht zum Schluss: Bei den vielen vergessenen Aspekten, die man den Deutschen nachsagte, war auch einer, der heute im öffentlichen Bewusstsein überhaupt keine Rolle mehr spielt: Und zwar wurde den Deutschen immer ein Drang nach Innen, eine Innerlichkeit nachgesagt. Nicht nur ein Martin Luther hatte den Drang, Gott im Inneren zu finden, auch ein Meister Eckhart, ein Novalis und viele andere verspürten dies.
Romantiker wie Eichendorff, Dichter wie Hölderlin und Komponisten wie Beethoven sprachen vom göttlichen Funken in sich. Es gibt eine Weissagung, dass die Deutschen Vorbild für die Welt sein sollen, sobald sie ihr wahres Wesen erkannt haben und es zum Ausdruck bringen. Nicht durch Herrschaft im Aussen, sondern durch eine Hinwendung nach Innen, zum Herzen. Deutschland ist das Herzland Europas, le coeur de l’Europe, schrieb Madame de Stael so treffend.

Ob wir dieser Aufgabe, als Volk in unser Herz zu kommen und somit als Volk in der Liebe zu sein erfüllen können, wird sich weisen. So oder so gelten auch heute diese prophetischen Worte von Martin Luther, mit denen ich den Artikel beschliessen will:

„Gottes Wort und Gnade ist ein fahrender Platzregen, der nicht wiederkommt, wo er einmal gewesen ist. Er ist bei den Juden gewesen; aber hin ist hin, sie haben nun nichts. Paulus brachte ihn in Griechenland; hin ist hin; nun haben sie den Türken. Rom und lateinisch Land haben ihn auch gehabt; hin ist hin, sie haben nun den Pabst. Und ihr Deutschen dürft nicht denken, dass ihr ihn ewig haben werdet“.

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