Es wäre schön, könnte man in der augenblicklichen Debatte beruhigend sagen, dass das Verfassungsgerichtsurteil zur Parteienfinanzierung für die NPD diesen einen Fall betrifft, und sonst niemanden. Kann man aber leider nicht. Und das sollte zu denken geben.
Von Dagmar Henn
Wenn man durch die Medien schweift und Reaktionen von Politikern auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrachtet, erfolgt genau die erwartbare Reaktion – gedanklich wird sofort die betroffene Partei durch die AfD ersetzt, und schon beginnen die Spekulationen, was man daraus alles machen könne.
Wobei zwei Punkte auffällig sind. Der Erste ist relativ einfach zu erkennen. Diese Urteilsverkündung passt einfach zu gut in die vom Nebengeheimdienst Correctiv ausgelöste Debatte. Nachdem die Klage, die das gestrige Urteil auslöste, schon 2019 eingereicht wurde und kaum anzunehmen ist, dass sich das Bundesverfassungsgericht in seine Termine hereinreden lässt, muss man vermuten, dass der gesamte Vorlauf vor der Correctiv-Veröffentlichung (wie die Umfrage zum AfD-Verbot und die Petition, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen) mehr oder weniger genau auf den wahrscheinlichen Zeitpunkt dieser Urteilsverkündung hin abgestimmt war. Ich habe es früher schon gesagt und wiederhole es hier noch einmal – wer mit echten politischen Abläufen vertraut ist, erkennt sehr klar, dass wir es hier mit etwas Anderem zu tun haben – zu schnell, zu einheitlich.
Für den nächsten Punkt muss man einen kleinen Umweg machen, nämlich eine alternative, denkbare Variante zum Entzug der Parteienfinanzierung betrachten. Es gibt nämlich eine Vorgeschichte, die in bundesdeutschen Medien nie verbreitet wurde. Diese Vorgeschichte reicht weit zurück; es gab nämlich über Jahre hinweg Vorhaltungen seitens der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz gegen Deutschland (ECRI), weil die NPD, die dort als die europaweit am offensten rassistische Partei bezeichnet wurde, weiterhin staatlich finanziert wurde.
Nun zuckt man ja mittlerweile instinktiv zusammen, wenn man „Europa“ hört, oder den Namen dieser Kommission, wenn man daran denkt, wie gerade diese beiden Begriffe, Rassismus und Intoleranz, in den letzten Jahren in Deutschland verwendet wurden. Aber im Gegensatz zur deutschen Debatte hat ECRI eine klare Definition, was Rassismus ist:
„‚Rassismus‘ bedeutet die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt.“
Die Gründung dieser Kommission war ein Ausfluss der UN-Konferenz von Durban 2001; diese Definition stammt aus dem Jahr 2002, also lange ehe alles „woke“ wurde, und ist sehr klar und damit tatsächlich juristisch handhabbar. Diese Kommission gibt einmal jährlich Empfehlungen ab, welche politischen Schritte ihrer Meinung nach die einzelnen Länder unternehmen sollten. Dazu gehörte auch, rassistische Parteien nicht öffentlich zu finanzieren beziehungsweise die Rechtsgrundlagen entsprechend anzupassen. Weiterlesen »
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